23. IPO 2015 Tartu, Estland, oder: Eindrücke einer globalen Agora


Natürlich, die Zahlen beeindrucken. 83 Teilnehmer aus 39 Staaten fanden sich zwischen 14. Und 18. Mai 2015 in Tartu, Estland ein, um in einem vierstündigen Wettschreiben um die begehrten Gold-, Silber- und Bronzemedaillen zu ringen und sich gegenseitig im Aufstellen ausgeklügelter Theoreme zu übertreffen. Eine Formel 1 der philosophischen Essayistik quasi. Doch diese Art von Bericht wird der IPO 2015 nicht annähernd gerecht. Statt einem Wettbewerb der Delegationen erlebten Lea und ich, die beiden Vertreter Österreichs, einen fünftägigen Karneval der Nationen, ein Feuerwerk an Gedanken und ein Forum für politische und philosophische Diskussionen.

Am Mittwoch dem 13. Mai begannen wir unsere Reise an den Rand Europas von Graz resp. Wien aus, in Begleitung von Ingomar Prack und Barbara Conrad. Vom Abend desselben Tages bis zum frühen Donnerstagnachmittag erkundeten wir gemeinsam Tallinn, die Hauptstadt Estlands, und frischten unsere Erinnerungen an den Bundeswettbewerb auf. Die Stadt war allerdings schon von fremden Philosophen infiltriert worden, Schweizer und Norweger wurden gesichtet. Dann schließlich brachen wir in einem IPO-Bus nach Tartu auf, blieben allerdings, scheu wie wir waren, noch unter uns.

Das große Kennenlernen brach erst beim Warten auf das Einchecken ins Hotel aus. Die Raucher gesellten sich zueinander, um über Erdogans Politik zu debattieren, Andere erzählten sich gegenseitig von nationalen Stereotypen, die sie voneinander hätten (und während der folgenden Tage bald verlieren würden). Bei der Eröffnungszeremonie, bei welcher wir offiziell in der "Stadt der guten Gedanken" willkommen geheißen wurden, wurden wir dann vollends von einer bunten Woge an Sprachen und Staaten überrollt. Bei einem Glas Wein lernten Lea und ich beispielsweise die italienische Delegation kennen, mit der wir auf Französisch, Spanisch und Italienisch konversierten. Ein babylonischer Abend.

Neben dem Essayschreiben, Stadtführungen und Bootsrundfahrten umfasste das Programm der folgenden Tage die Besichtigung der Universität von Tartu, welche für Estland eine ähnliche Bedeutung einnimmt wie Heidelberg für Deutschland und Coimbra für Portugal, einen Stand-Up-Comedian, eine Wasserdisco (sehr empfehlenswert und unvergesslich), Workshops über verschiedene philosophische Thesen, eine Plenumsdiskussion über die politisch-ethischen Konsequenzen eines Propaganda-Verbotes, und die Gelegenheit, in einer anrüchigen estnischen Kellerbar bei einem Glas Cider über Nietzsches Konzept des Übermenschen und seine Anwendung auf moderne Gesellschaften zu philosophieren.

Zu Ende ging diese Reise ins Wunderland mit der großen Abschlusszeremonie, welche im Übrigen fast vollständig im Internet abrufbar ist, mit Darbietungen von Gesang und Klavier, einem Vortrag über Nietzsches Hypothesen zum Zusammenhang von Sprache und philosophischer Fähigkeit, und der Preisverleihung. Dass ich dabei eine von acht Silbermedaillen gewann, rückt beim Betrachten der Photos unendlich weit in den Hintergrund, wird zum Passepartout einer Unzahl von Erlebnissen und Momenten, die sich zu einem Bild zusammensetzen, dessen Fülle an Farbe und Bewegung, obzwar harmonisch in ihrem freudenvollen Grundton, mir nicht fassbar sind. Wenn im August dieses Jahres fast 15 Teilnehmer aus Israel, Ungarn, Bulgarien und anderen Ländern sich auf mein Betreiben hin in Wien versammeln, hoffe ich, diesen Funken wieder zu spüren: Ein Feuerwerk an Gedanken.