DER STANDARD-Printausgabe, 7.3.2006
"Ich mag meine eigenen Gedankengänge"
Mit Originalität, Herzblut und schlagenden Argumenten zur Philosophie-Olympiade
Wien - "Ich würde sagen, dass dem, was uns heute als Freiheit verkauft wird, diese radikale Dimension von Freiheit und Demokratie fehlt: die Überzeugung, dass grundlegende gesellschaftliche Entscheidungen durch eine möglichst große Anzahl von Menschen oder eine Mehrheit diskutiert und entschieden werden sollten", schrieb Matthias Gerstgrasser beim Philosophie-Wettbewerb 2005.
"Originalität, Herzblut und schlagende Argumentation" sind auch dieses Jahr laut Gerd Gerhardt - Mitbegründer der Internationalen Philosophie-Olympiade - die Hauptkriterien, nach denen der Gewinneressay des am Freitag erstmals stattgefundenen, philosophischen Bundeswettbewerbs ausgewählt wurde.
Köpfe rauchen lassen
21 Jungphilosophen ließen in der Sir-Karl-Popper-Schule vier Stunden lang zu vorgegebenen Zitaten ihre Köpfe rauchen. Der Jury aus 20 Lehrern wurde es nicht leicht gemacht, die zwei besten Essayisten auszuwählen, die Österreich bei der Internationalen Philosophie-Olympiade in Cosenza im Mai vertreten werden.
"Es wird ständig über schlechte Schüler gesprochen. Doch diese Generation ist genauso begabt wie die davor", weiß Gerhardt. Für ihn geht es bei der Olympiade nicht nur darum, die Bedeutung des Philosophie-Unterrichts in der heutigen Zeit zu demonstrieren, sondern interessierte junge Menschen zusammenzubringen.
Paul Braunstorfer (18) zählt sich zu diesen interessierten Jugendlichen. "Ich diskutiere oft stundenlang mit Freunden über philosophische Knackpunkte", erzählt der Gymnasiast, der mit seinem Essay zu John Stuart Mill den 4. Platz erreichte. Ein Vorbild hat er nicht: "Jeder sollte seine eigene Philosophie entwickeln."
Als Sieger ging der 19-jährige Joseph Steinlechner mit seinem Aufsatz zu Ludwig Wittgensteins Zitat über Spiele hervor, wovon er auf Spielregeln und weiters auf Naturgesetze kam. Gemeinsam mit Maximilian Huber (20) wird er nach Italien reisen. "Ich bin ein skeptischer Mensch und mag meine eigenen Gedankengänge - man könnte mich auch als geistig hyperaktiv bezeichnen", gibt sich der Gewinner selbstbewusst. Seine persönliche Lebensphilosophie ändere sich wöchentlich, anders als sein Wunsch, in den USA Neurowissenschaften zu studieren.
(DER STANDARD-Printausgabe, Seite 12: SchülerStandard, 7.3.2006)